Freitag, 7. September 2018

#indieseptember Tag 7: "The Play's the Thing" von Mark Diaz Truman

Die erste Woche der #indieseptember-Reihe war im weitesten Sinne dem Thema "Was mit Büchern" gewidmet. Sie fing an mit Shakespeare (A Tragedy in Five Acts von Michelle Lyons-McFarland). Und sie soll auch mit Shakespeare enden (hyades hat es schon vorausgeahnt). Genauer mit The Play's the Thing von Mark Diaz Truman (@trumonz).


Es lässt sich diskutieren, inwiefern Marks Spiele überhaupt noch als "Indie" gelten, denn er hat neben The Play's the Thing einige große Spiele wie Our Last Best Hope, Cartel und Urban Shadows entwickelt und 2011 zusammen mit Marissa Kelly den Verlag Magpie Games gegründet, der so erfolgreiche Titel wie Masks, Bluebeard’s Bride und Epyllion verlegt (das entgegen seines Namens nicht-literarisch ist) und auch den Fate Codex herausgibt, in welchem Mark auch selbst interessante Artikel veröffentlicht, wie etwa über eine fünfte Aktion in Fate Core, das Entdecken. Aber das ist eine andere Geschichte... Während Mark eine etablierte Größe des anglo-amerikanischen Rollenspiels ist, ist er hierzulande wohl doch eher in der "Indie-Szene" bekannt, was die Aufnahme seines Shakespeare-Rollenspiels The Play's the Thing in meine kleine September-Reihe rechtfertigt.

Game Chef: Hier haben viele gute Rollenspiele ihren Anfang gemacht

Entstanden ist dieses Rollenspiel im Rahmen des Game Chef 2011-Wettbewerbs, dessen Thema in diesem Jahr SHAKESPEARE lautete (und aus dem auch A Tragedy in Five Acts hervorging). Bis heute lässt sich die PDF-Version von Marks Wettbewerb-Beitrag kostenlos downloaden (PDF), die er kurz darauf, im Februar 2012, nach einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne in einer stark erweiterten 125-seitigen Fassung bei Magpie Games veröffentlichte und die aktuell bei DriveThruRPG für nur $6.99 zu erwerben ist (hier; Stand: 7.9.2018). Das Game Chef-Thema war ein seltener Glücksfall für die Rollenspiel-Szene; nicht nur, weil es einige großartige Spiele hervorgebracht hat, sondern auch, weil es uns als Rollenspieler*innen dazu anregt, über unsere Tätigkeit nachzudenken, was es bedeutet, eine Rolle zu spielen. Das geschieht in The Play's the Thing allein schon dadurch, dass wir die Rolle eines*r Schauspieler*in übernehmen, die*der ein Shakespeare-Drama aufführen will und darin eine bestimmte Rolle spielen möchte. Es ist eine regelrechte mise en abyme, wenn man so möchte: Das Spielen einer Rolle, die eine Rolle spielen möchte, die eine Rolle spielt... Und Shakespeares Figuren sind deshalb so gut dafür geeignet, weil sie einerseits gut bekannt und andererseits sehr komplex sind.

In The Play's the Thing wird die SL also zum "Playwright", die*der der Theatertruppe ihr*sein Stück vorstellt. Die SCs sind die Schauspieler*innen, die natürlich ihre ganz eigene Agenda zu dieser Theateraufführung mitbringen. Die Spieler*innen am Tisch müssen somit sowohl der Figur als Schauspieler*in, als auch deren Charakter auf der Bühne gerecht werden. Ich könnte also zum Beispiel die Rolle eines Schauspielers spielen, der die Figur der Ophelia in Shakespeares Hamlet spielt. Natürlich habe ich, anders als der "Playwright" wenig Interesse daran, Ophelia früh sterben zu lassen. Vielleicht möchte ich sogar, dass meine Ophelia eher eine Viola oder eine Lady Macbeth oder eine Queen Margaret wird, eine starke Frau mit eigener Agenda. Dann kann ich als Spieler dafür sog. "Story Points" ausgeben (S. 15 - Mark gibt offen zu, dass diese von Fate Points inspiriert sind [S. 38; siehe auch das Impressum]), um triviale, kleinere oder größere Veränderungen (S. 54) am Theaterstück vorzunehmen. Der Clou dabei ist: Um Story Points zu erlangen, muss ich besonders charakter- und genrekonform spielen. Mit anderen Worten: Je mehr ich das Spiel des "Playwrights" mitmache, desto stärker kann ich es später gehörig durcheinander bringen!

Das kann ganz neue Konstellationen sowohl im Bühnen- als auch im Dramenkosmos ergeben. Hier ein Beispiel aus Marks FAQ, welches das ganz gut illustriert (ja, er hat tatsächlich eine FAQ-Sektion in sein Regelwerk integriert!):
Help! My players murdered Macbeth in the first Act.
What do I do now? First, don’t panic. I know it seems scary to have your Actors “ruin” the whole plot in the first Act, but that’s kinda the point of the whole game. We want our players to mess up the story, to rearrange things so that we end up with a new version of Shakespeare’s famous plays. In fact, you should probably give your whole group a bunch of story points for being so brave and ingenious! (S. 70)
Dieses Beispiel zeigt ganz gut, was für eine Art Spiel The Play's the Thing ist. Es werkelt lustvoll an Shakespeares Dramen rum, bis am Ende etwas rauskommt, was mit Hamlet oder Othello recht wenig zu tun hat, was aber dennoch Unterhaltungswert besitzt.

Shakespeares Hamlet in 7 Minuten erklärt

Die Schauspieler*innen der SCs (Actors) haben unterschiedliche starke Werte in ihren drei Attributen: Logos, Pathos und Ethos (S. 21).
  • Logos = Redegewandheit und Kontrolle über die Ereignisse
  • Pathos = Emotionale Resonanzfähigkeit und Kontrolle über die anderen Charaktere
  • Ethos = Narratives Verständnis und Kontrolle über den Schauplatz
Actors haben auch einen "Type", also ein typisches Rollenfach. Eine spielt eben immer die Schurkin, ein anderer eben immer den einfältigen Idioten usw. Der Type beinhaltet einen auf-der-Bühne sowie eine neben-der-Bühne-Komponente (S. 22). Das war es im Grunde auch schon für die Charaktererschaffung - Let the play begin! 

Die*der Playwright stellt das Stück vor; standardmäßig ein Shakespeare-Drama, aber auch jedes beliebige andere Stück ist möglich und erwünscht (S. 34). Die Rollenverteilung beginnt mit einem Gebotsmechanismus: 
The Playwright casts the play by offering up a Name for one of the Characters, a Part (King, Exile, etc), a Plot (Daughter, Forsworn, etc), and a Prop (Coin, Sword, Crown) with a story point reward — usually two to three story points — for the Actor who accepts the role. (S. 34)
Rolle (part), Beziehung (plot) und Requisite (prop) sind die regelmechanisch zentralen Aspekte des Stückes. Wie Fate-Aspekte lassen sie sich einsetzen (invoke), um Veränderungen (edits) vorzunehmen (S. 38), was aber, Fate lässt grüßen, einen "story point" kostet. Dafür gibt es jeweils zwei Würfel - und ähnlich wie bei Fate kann man mehr Punkte ausgeben (wenn die Aspekte passen), um mehr Würfel zu erhalten. Je mehr Würfel man ansammelt (etwa weil man andere P-"Aspekte" einsetzt, props, places, plots, parts), desto größer die Wahrscheinlichkeit, einen edit zu bewirken und Ophelia bis zum 5. Akt am Leben zu halten. Für triviale Änderungen muss man mind. 10 mit seinem Würfelpool erwürfeln, für mittlere schon 15 und für große sogar 20 (S. 54). Macbeth in Akt 1 sterben zu lassen ist also möglich, kostet aber einen Haufen "story points". Und die*der Playwright kann sich in guter Shakespeare-Manier immer noch entscheiden, in Akt 2 den Geist des verstorbenen Macbeth auf die Bühne zu bitten... Ob die drei Hexen das vorausgesehen haben?!

William Shakespeare, das sog. Chandos Portrait

Ist das jetzt nur für Shakespeare-Kenner*innen? Nein! Mark hat viel Arbeit investiert, um auch diejenigen abzuholen, die Shakespeare nicht kennen oder nicht mögen (jaja, die gibt es auch, nicht wahr, Infernal Teddy?!). Die gesamte zweite Hälfte des Bandes widmet sich den Genres (Tragödie, Komödie, Historie) und den einzelnen Dramen, die Mark in sog. "Scripts" vorstellt (besser als CliffsNotes!). Wer also keine Ahnung hat, wovon Hamlet eigentlich handelt, braucht nur Marks Script zu lesen und hat nach 10 Minuten alles, was man braucht, um den Playwright von Hamlet zu geben (oder um in einer Klassenarbeit zu einem Shakespeare-Drama eine gute Note zu erzielen). Es zeigt, dass Mark nicht nur ein brillanter Spiele-Entwickler ist, sondern auch ein absoluter Shakespeare-Kenner und -Enthusiast, der für Rollenspiel und für Shakespeare viel Liebe und Begeisterung aufbringt. Gerade das ist es, was mir an The Play's the Thing so gut gefallen hat: Die Liebe zum Detail und zum Gegenstand, die Lust, das Material gleichermaßen respektvoll (it's Shakespeare!) und respektlos (but now it's our Shakespeare) zu behandeln. Dass die Regeln sich sehr stark an Fate anlehnen ist kein Problem. Das Spiel ist eigenständig genug, um nicht bloß ein "Fate-Hack" zu sein; aber Fate-Spieler*innen werden sich im Handumdrehen zurecht finden.

To play or not to play? #werspieltmit

Terrible Warriors: Interview mit Mark Diaz Truman


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