Samstag, 29. September 2018

#indieseptember Tag 27: "Shooting the Moon" von Emily Care Boss

Wann wird es endlich mal wieder richtig romantisch? Das "Liebe" im gestrigen Beitrag zu Liebe in den Zeiten des Seiðr ließ zwar Romantik erahnen, die war aber in der Blutoper eher nebensächlich). Also wird es heute romantisch. Und zwar in Shooting the Moon (zur Bedeutung des Titels, siehe das Urban Dictionary) von Emily Care Boss (@emilycare) (die ich im Zusammenhang mit Bubblegumshoe bereits in Folge #04 meines #indieseptember kurz erwähnte). Dabei handelt es sich um ein Spiel von 2006, das Emily 2016 in überarbeiteter Fassung in dem Band Romance Trilogy herausgegeben hat. Dieser enthält neben dem hier vorgestellten Shooting the Moon noch die beiden Spiele Breaking the Ice (2005) und Under My Skin (2008). Das Spiel zeichnet sich durch seine dichten Regeln aus, die der Komplexität zwischenmenschlicher Gefühle entsprechen. Außerdem entwickeln sich die Charaktere sehr stark im Verlauf des Spiels, bei der Verfolgung ihrer jeweiligen Ziele und durch die Hilfen und Störungen der anderen SCs.


Die Regeln sind nicht so einfach, wie man das von einem Erzählspiel erwarten würde. Dabei ist es weniger die Komplexität der Regeln, die es zu meistern gilt, als deren Menge. Auch fällt es nicht ganz leicht, zu Beginn einen Überblick zu behalten. Daher hole ich heute ausnahmsweise etwas weiter aus und erläutere die Regeln so gut es geht auf Deutsch.

Mit der Charaktererschaffung geht es los:

  1. Reihum je eins von sechs Attributen für die*den Geliebte*n (Beloved) aufschreiben, z.B. "rücksichtslos"
  2. Dann für drei dieser Attribute je ein Synonym und ein Antonym aufschreiben, z.B. "rücksichtslos > unbarmherzig (Synonym) > mitfühlend (Antonym)"
  3. Synonyme und Antonyme werden nun die Start-Merkmale der Verehrer*innen.
  4. Modifizieren, dieser Merkmal, indem man ein "aber + Beschreibung" hinzufügt, z.B. "unbarmherzig, aber gut zu Kindern"
  5. Die*der Geliebte erhält noch die Werte Gelegenheit (wieso ist sie*er verfügbar?), Hindernis (welches Hindernis steht ihr*ihm im Weg?) und Traum (Ziel und Ambition der*des Geliebten). 
  6. Die Verehrer*innen erhalten ebenfalls drei Merkmale: Person, Ort, Sache (ziemlich selbsterklärend). 
  7. Jede*r wählt einen Namen für den Charakter und beschreibt dessen Aussehen. 
  8. Die Verehrer*innen entscheiden, was die Prämie ist (The Prize): Das Ziel ihrer Bemühungen, also etwa ein Lächeln, eine Liebesnacht, ein Kuss, eine Haarlocke der*des Geliebten etc. (analog zum "Traum" der*des Geliebten)
Sind die SCs so festgelegt, beginnt das eigentliche Spiel mit einem kurzen Prolog (erzählt oder ausgespielt, je nach Belieben), gefolgt von drei Runden, in denen jeder SC je einen Zug macht. Für ihre Handlungen erhalten die Spieler*innen Punkte, die wiederum den Würfelpool bestimmen, mit dem sie sich dem Ziel nähern können. Es kann also durchaus vorkommen, dass die*der Geliebte (GEL) eine*n Verehrer*in (VER) wählt, die Würfel aber jemand anderen gewinnen lassen. 

Ist VER dran, darf sie*er eine Szene mit GEL gestalten, während die*der andere VER ein Hindernis darstellt. Das läuft in verschiedenen Phasen ab:
  1. Freies Spiel (S. 112)
  2. Hürde (114)
  3. Erster Pool (115)
  4. Würfeln (118)
  5. Optional: Zweiter Pool (120)
  6. Würfeln (121)
  7. Schluss-Erzählung (122)

Das freie Spiel etabliert die wichtigsten Fakten der Szene. Die Hürde speist sich aus den Attributen oder Merkmalen des aktiven VER oder der im freien Spiel erzählten Welt. Dafür erhält der SC einen Pool von 5 Würfeln. Die beiden aktiven Spieler*innen bekommen für ihre drei Erwiderungen (basierend auf Merkmalen und Attributen) bis zu 6 Würfel. Dann werden die Würfel geworfen und es gewinnt die Partei mit den meisten 6ern. Gewinnen der aktive VER und die GEL, bekommen sie einen Punkt auf Ziel bzw. Prämie; andernfalls bekommt niemand Punkte, aber der zweite VER darf dem ersten ein neues Merkmal verpassen. Es gibt ggf. eine zweite Chance (siehe Phase 5).

Der Ablauf einer GEL-Szene ist etwas anders:

  1. Level wählen (123)
  2. Hürden (124)
  3. Erwiderungen (128)
  4. Die Runde auflösen (130)

GEL darf den Schwierigkeitslevel der Hürde festlegen (je höher, desto mehr Belohnung). Darauf können die VER antworten.

Sind die drei Runden mit je einem SC-Zug durch, kommt das Endspiel, in dem die Spieler*innen kollaborativ den Höhepunkt beschreiben und lose Enden verknüpfen, offene Fragen beantworten, Konflikte zu einer Lösung bringen etc. Danach würfeln sie auf "Traum" (GEL) bzw. "Prämie" (VER) mit der Anzahl an Würfeln, die den im Spiel verdienten Punkten entspricht.

Puh, der Artikel ist länger geworden als ich dachte. Und wahrscheinlich hat meine Weitschweifigkeit nicht gerade Lust auf eine Runde "Shooting the Moon" gemacht. Aber der Gauntlet-Podcast diskutiert das Spiel in Folge #87 sehr positiv (und viel besser als meine Zeilen hier). Es gibt auch ein Actual Play von Hyper RPG, in das ich bisher nur kurz reinschauen konnte (schreibt einfach in die Kommentare, ob und wie empfehlenswert es ist), sowie eins von Eric Vulgaris (der die Regeln sicher besser erklärt als ich). Ich glaube, dass die Mechanik einiges an Koordination und Übung braucht, so wie Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Ich glaube auch, dass diese Bereitschaft belohnt wird durch ein schönes Erzählspielerlebnis über zwischenmenschliche Beziehungen und die Rivalität zweier Wesen um ein drittes.



Den Band kann man hier auf DriveThruRPG kaufen (PDF aktuell $9.99).

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