Dienstag, 17. September 2019

#indieseptember Tag 44: "Lady Blackbird" von John Harper

Ein weiteres kostenloses Spiel von John Harper, (@john_harperLady Blackbird. Ich weiß von vielen Rollenspieler*innen, für die Lady Blackbird eins der absoluten Lieblingssysteme darstellt. Es ist kompakt, nicht sehr regellastig (wenngleich es eine Prise "crunch" beinhaltet) und perfekt darauf ausgelegt, eine Geschichte im Stil von Star Wars oder Firefly zu erzählen, also eine Art interstellarer Romanze, d.h. eine Liebesgeschichte rund um die persönlichen Gefühle und Gedanken einer kleinen Gruppe von Personen in einem großen Kosmos, inkl. einer Prise Liebe, Verrat und Action sowie jeder Menge Gelegenheiten, Held*innenmut unter Beweis zu stellen. Das Genre ist im Grunde jedem vertraut und erleichtert das Spielen. Mechanisch betrachtet verwendet Lady Blackbird ein d6-System, das offensichtlich inspiriert ist von zwei älteren kostenlosen Indie-Spielen: The Shadow of Yesterday von Clinton R. Nixon (hier auf Deutsch erhältlich), das John auch kürzlich auf Twitter empfahl (hier), sowie von The Pool von James V. West. Ach, und erwähnte ich schon, dass es kostenlos ist?

Die Charaktere 

Lady Blackbird hat fünf vorgefertigte Charaktere. Die Spieler*innen suchen sich je einen davon aus. "Vorgefertigt" heißt hier, dass sie sehr grob umrissen sind; es wird Aufgabe der Spieler*innen sein, sie mit Leben zu füllen und vermutlich werden sich die Figuren von Runde zu Runde sehr stark unterscheiden. Die fünf Charaktere sind:

  • Natasha Syri (die titelgebende Lady Blackbird). Sie ist eine imperiale Adlige, die inkognito die Flucht vor der arrangierten Ehe mit Graf Karlow unternimmt, um mit ihrem Geliebten, dem Piratenkönig Uriah Flint, zusammenzusein.
  • Naomi Bishop. Sie ist die Leibwächterin von Lady Blackbird. Einst war sie eine Gladiatorin in den Gruben.
  • Cyrus Vance: Cyrus ist nicht nur der Kapitän des Schiffs Die Eule. Er blickt auch auf eine Vergangenheit als imperialer Soldat zurück, bis er sich eines Tages entschloss, sein Glück als Schmuggler zu versuchen.
  • Kale Arkham: Kein Schiff kommt ohne Besatzung aus. Kale dient als erster Maat und Schiffsmechaniker auf der Eule. Zudem ist er ein Dieb und Amateurmagier.
  • Snargle: Goblin-Matrose und Pilot der Eule. (*)

(*) Nicht alle dieser Figuren haben im Übrigen ein klar erkennbares Geschlecht. Snargle könnte also auch mühelos eine Goblinfrau sein. Und wer möchte, kann sicherlich auch eine queere Lady Blackbird-Runde spielen. Das Spiel gibt hier keine Grenzen vor.

Die Regeln von Lady Blackbird

Das Spiel hat nicht viele Regeln. Da diese aber zu Beginn etwas ungewöhnlich wirken können, erlaube ich mir, sie im Folgenden detailliert zu beschreiben. Im Grunde kann man den folgenden Text lesen und kennt dann alle Regeln und kann sofort losspielen. Zudem gehe ich auf die Unterschiede ein, die zwischen John Harpers Originalversion von Lady Blackbird und der überarbeiteten Fassung von Jesse Ross und Rich Rogers bestehen. Rich ist ein großer Kenner des Spiels, hat mehr Runden geleitet und gespielt, als John selbst und hat an einigen Stellen sehr behutsame Änderungen vorgenommen.

Eigenschaften und Talente (traits and tags)


Jeder Charakter hat vier Werte: traits, tags, keys und secrets. Traits und tags sind, grob gesagt, Eigenschaften und dazugehörige Talente. Das Beispiel links zeigt zwei Eigenschaften (traits) von Snargle. Er ist ein u.a. ein Goblin und gerissen (sly). Darunter findet sich eine Liste von Talenten (tags). Z.B. ist Snargle als Goblin sehr schnell (quick), kann im Dunklen sehen (nightvision) und Klauen und Zähne einsetzen (teeth & claws). Durch seine Gerissenheit und Schläue ist er zudem handwerklich geschickt (crafty), glänzt beim Feilschen (trade speak) und ist überhaupt recht sprachenbegabt (languages).

Will Snargle im Spiel nun eine bestimmte Aktion durchführen, wie z.B. unbemerkt durch einen düsteren Gang schleichen, ohne dass das auf Geräusche ausgerichtete Warnsystem Alarm schlägt, sucht Snargles Spieler*in sich eine Eigenschaft (trait) aus, die dazu passt, etwa "Goblin", und erhält dafür 1W6, der zu dem Pool (in dem allein für das Unternehmen der Aktion immer bereits 1W6 liegt) hinzugefügt wird. Snargle hätte jetzt also 2W6. Nun sucht man sich aus den unter "Goblin" gelisteten verfügbaren Talenten (tags) (die mit schwarzem Punkt; die weißen können durch Stufenaufstieg freigeschaltet werden) diejenigen aus, die auf die Situation anwendbar sind und erhält dafür je 1W6. Es ist dunkel im Gang: Snargle hat Nachtsicht (nightvision) = +1W6. Er muss sehr schnell durch den Gang kommen, bevor die Wache auftaucht (quick) = +1W6 usw. Am Ende hat die*der Spieler*in von Snargle einen Pool von xW6, die gegen eine von der SL bestimmte Schwierigkeit gewürfelt werden (2 ist einfach, 5 ist beinahe unmöglich). Snargles Spieler*in würfelt den Pool und zählt die Würfel, die eine 4, 5 oder 6 zeigen, als Erfolge. Ist die Anzahl der Erfolge ≥ Schwierigkeit gelingt die Aktion. 

Bei besonders schwierigen Aktionen können die Spieler*innen zusätzlich zu dem über trait und tags gebildeten Würfelpool weitere Würfel hinzufügen. Dazu stehen allen Charakteren 7W6 in einem allgemeinen Pool zur Verfügung. Jede*r kann beliebig viele W6 aus diesem Pool nehmen und dem Würfelpool für die Aktion hinzufügen. Ist die Handlung erfolgreich, werden die hinzugefügten Poolwürfel abgestrichen. Schlägt sie jedoch fehl, erhält man die Würfel zurück zzgl. eines Bonuswürfels! Den wird man sicher bald brauchen, denn der Fehlschlag bedeutet, dass die Situation sich verschlechtert... Übrigens können Charaktere, die dazu in der Lage und bereit sind, anderen Charakteren bei ihren Aktionen helfen und ihnen 1W6 aus ihrem eigenen Pool zur Verfügung stellen.


Schlüsselfähigkeiten (keys, buyoffs)

Die Charaktere in Lady Blackbird können sich auch weiterentwickeln (bzw. "aufsteigen"). Hier kommen die sog. keys ins Spiel, von denen jede Figur drei hat. Rechts sieht man z.B. den "Key of the Commander" von Cyrus Vance: "Du bist gewohnt, Befehle zu erteilen, denen gehorcht wird. Drehe diesen Schlüssel um, wenn Du einen Plan ersinnst und Befehle erteilst, damit er gelingt." Wenn man auf die hier angegebene Weise handelt (turn this key), wird man mit einem Erfahrungspunkt belohnt. Wenn das Verhalten gemäß des Schlüssels die Figur(en) in Gefahr bringt, erhält man sogar zwei Erfahrungspunkte. 

Unter jedem key steht eine sog. buyoff-Bedingung, also was man tun muss, um sich von diesem Schlüssel "loszukaufen". Im Beispiel von Cyrus Vance wäre das, dass er nun jemand anderen als Anführer*in anerkennt. Für Cyrus, der das Befehlen gewohnt ist, ist das sicher keine leichte Sache, zumal dieser key künftig nicht mehr als Quelle von Erfahrungspunkten zur Verfügung steht! Daher wird die*der Spieler*in von Cyrus beim buyoff auch sofort mit zwei Verbesserungen (advancements) belohnt.
[Wichtig: In der Originalversion von Lady Blackbird von John Harper sind es zwei Verbesserungen; in der von Jesse Ross und Rich Rogers überarbeiteten Version (aus der auch die hier abgebildeten Screenshots stammen) sind es stattdessen 5 Erfahrungspunkte, was umgerechnet nur einer Verbesserung entspricht; s. folgendes Bild]
Links die originale buyoff-Regel von John; rechts die überarbeite Regel von Jesse und Rich

Geheimnisse und Erholungsszenen (secrets, refreshment scenes)

Abschließend hat jeder Charakter noch zwei Geheimnisse (secrets), die eher als eine Art Superkraft oder Gabe funktionieren. Hier als Beispiel das "Geheimnis der Zerstörung" von Naomi Bishop: "Du kannst Dinge mit deinen bloßen Händen so zerbrechen, als würdest Du einen Vorschlaghammer schwingen. Das ist unheimlich." Manche Geheimnisse sind eher rollenspielerischer Natur, manche haben mechanische Auswirkungen auf Würfelergebnisse oder auf die Pool-Bildung. Auch wenn es Superkräfte sind, zeigt die von John gewählte Bezeichnung "secrets" an, dass die Charaktere diese Fähigkeiten nicht gerne an die große Glocke hängen wollen. Auch können sie sie nur einmal einsetzen. Ein weiterer Einsatz ist erst nach einer Erholungsszene (refreshment scene) (s.u.) wieder möglich.
Charaktere in Lady Blackbird haben keine Lebenspunkte, können aber durchaus bestimmte Zustände (conditions) bekommen, die sie beeinträchtigen. Das kann mechanische Konsequenzen haben oder bestimmte Aktionen schlicht verunmöglichen. Wer den Zustand "wütend" (angry) hat, wird keine ruhige und sachliche Debatte mit den Wachen führen können (oder braucht dafür 5 statt der ansonsten erforderlichen 3 Erfolge -- das entscheidet die SL). Will man die Zustände loswerden, muss man eine Erholungsszene (refreshment scene) mit mind. einem anderen Charakter ausspielen. Diese sind besonders gut geeignet, um das Innenleben der Charaktere ins Scheinwerferlicht zu rücken sowie ihre Beziehungen untereinander zu beleuchten. Sie können im Hier und Jetzt stattfinden oder in Form eines Flashbacks ausgeführt werden. Idealerweise stellen sich die Charaktere Fragen in diesen Szenen, wie z.B.: "Snargle, wie fühlst Du Dich als einziger Goblin unter uns Menschen?" oder "Hey Naomi, was hältst Du wirklich von Lady Blackbird?" oder "Erzähl mal, Kale, wieso hast Du diesen Job hier angenommen, wo er doch gar nicht so gut bezahlt ist?" usw. Am Ende der Szene können die involvierten Charaktere ihren persönlichen Würfelpool auf 7W6 auffrischen und entweder einen Zustand entfernen oder den Einsatz eines Geheimnisses (secret) wiedererlangen. [Auch hier weichen Rich und Jesse von Johns Version ab, indem sie Würfelpoolauffrischung und Zustandsentfernung und Geheimnisnutzungsneustart als Ergebnis der Erholungsszene festlegen].

Charakterentwicklung und "Stufenaufstieg" (advancements)


Wie schon gesagt ist Lady Blackbird ein Spiel mit Erfahrungspunkten. Diese können eingesetzt werden, um den Charakter weiterzuentwickeln. Für je 5 Erfahrungspunkte kann ein Charakter eine neue Eigenschaft (trait) wählen (vorausgesetzt, es ergibt aus der Erzählung heraus Sinn), ein Talent (tag) freischalten, einen neuen key hinzufügen oder ein neues Geheimnis (secret) erlernen. Auch hier weicht die Version von Jesse und Rich ein wenig von Johns Original ab und schlägt ein Kaufsystem vor, bei dem unterschiedliche Verbesserungen unterschiedlich viele Erfahrungspunkte kosten: 5XP für neue Eigenschaft (inkl. 3 Talente); 5XP für neuen key; 5XP für neues Geheimnis; 5XP, um das Maximum des persönlichen Pools um einen Würfel zu erhöhen; 3XP für das Freischalten eines Talents; und 1XP, um mitten im Spiel einen Pool-Würfel in den Pool zu legen (was sinnvoll sein kann, wenn in einer brenzligen Situation keine Würfel im Pool liegen; denn während eines Würfelwurfs kann es keine Erholungsszenen geben!).

Die Eule: Das Schiff

Die Eule im Größenvergleich zur Hand of Sorrow
Im Grunde waren das die Regeln. Zu Beginn des Spiels ist Cyrus Vances Schiff, Die Eule, vom imperialen Kreuzer Hand der Sorgen (Hand of Sorrow) abgefangen worden, deren Kapitän Hollas gerade die Daten der Eule überprüfen lässt. Das Entkommen von der Hand der Sorgen ist also der erste Teil eines Abenteuers, das man beliebig ausdehnen kann. Wichtig zu wissen, ist, dass auch Die Eule zu Beginn einen Zustand (condition) hat: "Kein Treibstoff" (need fuel).

Links und Actual Plays

Es gibt viel Material im Netz zu Lady Blackbird. Da ist zum einen die von Jesse Ross und Rich Rogers initiierte Webseite ladyblackbird.org, auf der sich die überarbeitete Fassung (s.u.) kostenlos herunterladen lässt, sowie auch die beiden Derivate des Spiels (bzw. "Hacks") Magister Lor und Lord Scurlock. Da es unter der CC-Lizenz verfügbar ist, gibt es zahlreiche Lady Blackbird-Hacks, die sog. "Hackbirds", von denen es auf Year of Living Free eine umfassende Liste gibt. Es gab auch mal eine Turbo-Fate-Version, die aber, soweit ich das sehen kann, im Google+-Niemandsland verschwunden ist. Falls sie noch jemand hat, freue ich mich über Hinweise.

Auf John Harpers Webseite onesevendesign.com lässt sich kostenlos das Original von John Harper herunterladen. 

Es gibt zahlreiche sehr gute Rezensionen zu Lady Blackbird. Eine, die ich mit Interesse gelesen habe findet sich auf wired.com. Eine neuere auf cannibalhalflinggaming.com. Auch von Wilhelm Person, den ich vor kurzem zu seinem Spiel Until Dawn interviewt habe, gibt es eine ausführliche Lady Blackbird-Rezension, die immer noch sehr lesenswert ist. Who Dares Rolls hat einen sehr ausführlichen Spielbericht.

In Foren gibt es viele gute Diskussionen zum Spiel, etwa eine zur ersten Sitzung auf story-games.com oder auch im Tanelorn, wo es eine inoffizielle (und ganz passable) dt.-sprachige Übersetzung von Lady Blackbird gibt. Wer die Suchfunktion in derartigen Foren bemüht, findet schnell zahllose Beiträge à la "Mein absolutes Lieblingsrollenspiel" oder "Diese drei Rollenspiele nehme ich mit auf die einsame Insel" oder "Dare I say the perfect one-shot game?" oder "Game of the Month"...

Es gibt ein Interview mit John Harper auf dem One Shot Podcast. Wer sucht findet schnell weitere Interviews mit John, wobei der Schwerpunkt der meisten auf seinem großen Spiel Blades in the Dark liegt.

Actual Plays von Lady Blackbird gibt es wirklich sehr viele. Ich empfehle die Party of One-Podcast-Folge mit Jeff Stormer und Shannon Carey. Eine Folge des Happy Jacks RPG-Podcasts. Auch hörenswert die You Don't Meet At An Inn-Folge mit Austin Ramsay. Ich mag Tuckers aktuell pausierenden Scene Play-Podcast sehr gerne und da gibt es zahlreiche Folgen zu Lady Blackbird. Auch schön: Let's Play Better oder Jank Cast.

Auf YouTube gibt es auch viele APs. Ich empfehle vor allem die von Rich Rogers, der vermutlich den weltweiten Rekord in Lady Blackbird-Runden hält. Zu Beginn seiner Runden erklärt Rich auch immer in kurzen Sätzen die Regeln.

Rich Rogers spielt mit einer Allstar-Gruppe

Gauntlet-Runde mit Jesse Ross

Eine Runde Magister Lor, ein Lady Blackbird-Hack

Alle Bilder stammen aus John Harpers Regelwerk Lady Blackbird (teilweise in der Überarbeitung von Jesse Ross und Rich Rogers) das unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0-Lizenz steht. 

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