Samstag, 1. September 2018

#indieseptember Tag 1: "A Tragedy in Five Acts" von Michelle Lyons-McFarland

Ich habe beschlossen (und zwar hier), jeden Tag im September 2018 ein Indie-Rollenspiel vorzustellen - oder was ich so für Indie halte. Denn, wichtiger Disclaimer gleich vorweg, da gibt es nicht so ein richtiges System, wie ich das auswähle. Die meisten Spiele sind solche, die ich schon seit Wochen, Monaten, in einigen Fällen seit Jahren im Regal oder auf der Festplatte liegen habe und mental als "dafür finde ich eh nie eine Gruppe" verbucht habe. Die Twitter-Serie wird das natürlich ändern und am Ende des Monats habe ich mind. 30 neue Rollenspieltermine im Kalender, klar! Da Twitter bekanntermaßen für lange Vorstellungen nicht geeignet ist, begleitet dieser Blog die Serie mehr oder weniger regelmäßig.

01.09.2018, #indieseptember Tag 1: Ich starte die Serie mit einer literarischen Woche (Berufskrankheit, einige werden es wissen) und empfehle der geneigten Leserschaft das Rollenspiel A Tragedy in Five Acts von Michelle Lyons-McFarland, veröffentlicht bei Growling Door Games, dem Verlag von Michelle und ihrem Mann Matthew. Das Projekt war einst für einen Wettbewerb geplant, wurde nie fertig, aber die Idee wuchs, bis Michelle beschloss, das Projekt auf Kickstarter einzustellen. Das Resultat: Ein wundervolles Shakespeare-Rollenspiel.

Kunden, die dieses Produkt kauften, kauften auch Shakespeare, Marlowe, Middleton und Massinger (in erster Linie aber Shakespeare, let's not get too fancy). Es ist nämlich ein Shakespeare-Rollenspiel. Genauer: Ein Rollenspiel, dessen Ziel es ist, eine Shakespeare-Tragödie auf die Bühne, will heißen: an den Spieltisch, zu bringen. Ihr wisst schon: konfliktbeladene Charaktere, die lange Monologe halten, um zu sagen, was sie fühlen, und die am Ende alle tot sind.

Was wären Tragödien ohne Konflikte? Was Othello ohne Iago, was Hamlet ohne Claudius, was das schottische Stück ohne... den titelgebenden schottischen Königsmörder, was Antony ohne Caesar? Da es Konflikte rivalisierender Parteien in Shakespeares Tragödien gibt wie Regentropfen in London, liegt es nahe, dass auch A Tragedy in Five Acts (AT5A) ein kompetitives Element enthält. Wie das genau funktioniert, erklärt besser als jeder Blogbeitrag, dieses Video:


Man bestimmt gemeinsam ein Setting ("Rom! Wie in Shakespeares Julius Caesar!" oder "Schottland wie in... ihr wisst schon welches Stück!" oder "Vor den Toren Trojas, wie in Troilus"). Danach werden Rollen verteilt (Tochter, Liebhaber, Obrigkeit etc.) und tragische Fehlleistungen (was in der aristotelischen Poetik "harmartia" heißt) geheim gezogen, wie z.B. ambitioniert, arrogant, eifersüchtig etc. Die Beziehungen der Dramatis Personae untereinander werden geknüpft (S. 38) und die Spieler*innen erhalten zudem je 10 Spielsteine. So viel zur Vorbereitung.

5 Akte à 3 Szenen (und ja, in 5.iii wird es wahrscheinlich blutig enden) = 15 Szenen. Wie in einer guten Tragödie auch, kommen den einzelnen Akten bestimmte Funktionen zu: "Act I, Introduction; Act II, Conflict; Act III, False Hope; Act IV, Denouement; Act V, Restoration of Order" (S. 17). Für das Erzählrecht jeder Szene wird mit den Spielsteinen geboten (am Ende jedes Aktes wird wird wieder auf 10 Steine aufgefrischt). Das bedeutet natürlich auch, dass AT5A ein prinzipiell SL-loses Spiel ist bzw. eine rotierende SL hat (für eine gute Erklärung, was das ist, empfehle ich BeePeeGees Artikel in der ersten Ausgabe des Erzählspiel-Zines). Das Bieten wird bereits mit einer kurzen Ideen-Skizze verbunden ("Ich spiele die Rolle der Eltern und biete X Steine für die nächste Szene, in der ich mir wünsche, dass der tragische Held feststellt, dass er eigentlich mich, seine Mutter, liebt und aus Verzweiflung darüber den Kämmerer ersticht!"). Wenn man findet, dass jemand anderes am Tisch eine unglaublich gute Idee hat, kann man deren Gebot unterstützen (das Bieten enthält also gleichzeitig eine kompetitive und eine kooperative Komponente). Wer gewinnt erhält Tragikpunkte in Höhe der (von allen) für die Idee gebotenen Spielsteine: Die zu sammeln ist wichtig: Wer am Ende die meisten hat, darf der Tragödie zum Schluss noch einen Namen verpassen! Aber damit am Ende von 5.iii nicht nur ein*e Spieler*in Spaß hat, können alle anderen am Tisch entscheiden, welches tragische Schicksal ihre Figur ereilt (Tod ist immer eine Option; wenn es eine frühneuzeitliche Rachetragödie ist, vielleicht sogar ein bizarrer oder grausamer Tod...). Es gibt noch einige kleinere Mechanismen, wie die Abdankung (S. 43), denn nicht jede Figur erlebt bei Shakespeare die Schlussszene (Ophelia, Polonius, Rosencrantz, Guildenstern...), aber auch das Regie führen ("Directing") (S. 46 ff.). Im Prinzip aber nichts, was eingefleischte Rollenspieler*innen nicht schon kennen würden.

Wichtiger Hinweis der Autoren zum Schluss: "No iambic pentameter required."
Ist das nicht eigentlich sehr trauerig,
Dass nicht in Fünffußjamben g'sprochen wird?
Nein, eigentlich nicht, wenn ich mir mein Couplet so anschaue...

Kritisch anzumerken ist vielleicht, dass der Band mit den schönen Illustrationen und den einfachen Regeln etwas wortreich ist. Das soll vermutlich Spieler*innen ohne Shakespeare-Kenntnisse an die Hand nehmen und in die Welt des frühneuzeitlichen Theaters einführen. Aber viele Passagen habe ich dann doch nur überflogen. Da hätte man fokussierter schreiben können. Brevity is schließlich die soul of wit, wie ein dänischer Prinz einst feststellte. Anyway: "To play, or not to play?" #werspieltmit


Edit 4.9.: Ich freue mich, im Oktober zusammen mit Michelle und drei anderen Spieler*innen auf der #GauntletCon2018 dieses Spiel in einer Cluedo-Variante austesten zu dürfen: Es war der Barde, mit der Feder, im Zuschauerraum... Ich werde berichten.

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