Viele dieser Horror/Grusel/Grauen-Spiele scheinen eine Vorliebe für Metaphern zu haben (streng genommen sind es gar keine Metaphern, sondern Metonymien, aber das führt jetzt zu weit). In Dread ist der Jenga-Turm die Metapher für die immer wackliger werdende Sicherheit der Figuren, in Ten Candles die Teelichter eine Metapher für das sukzessive Erlöschen der Welt und die geringe verbleibende Zeit. Neben diesen requisitenhaften Metaphern gibt es auch binnenfiktionale Metaphern. Denn in Monsterhearts 2 spielen die SCs Teenager, die Monster sind. Oder Monster, die Teenager sind. Je nach Perspektive. Und nicht immer ist es restlos klar, was dabei das implizite und was das explizite Monster ist. Meine eigenen Kinder sind glücklicherweise noch ein paar Jahre vom Teenager-Alter entfernt, aber ich weiß, dass manche Eltern ab und an statt ihrer Teenager-Kinder lieber einen Werwolf zum Sohn oder eine Vampirin zur Tochter hätten, weil das weniger anstrengend wäre... Ich war als Teenager sicher auch kein Zuckerschlecken - das wird mir zumindest fast 20 Jahre später noch jedes (ja, jedes!) Weihnachten vorgehalten (danke, Familie: ich habe Euch auch lieb!).
Monsterhearts 2 ist ein verdammt gut durchdachtes Spiel - was man im Englischen polished nennt. Avery hatte nicht einfach nur eine gute Idee, sondern auch die Ausdauer und das Fingerspitzengefühl, diese gute Idee zu einem sehr guten und stimmigen Spiel zu entwickeln. Monster + Teenager + Queerness: Diese drei Themen muss man erst einmal gekonnt miteinander verbinden!
Das Spiel ist ein PbtA-Hack (basiert also auf den Regeln von Apocalypse World und ist somit Powered by the Apocalypse). PbtA-Spiele haben eine "fiction first"-policy, was sie wahrscheinlich besonders gut geeignet macht für Gruselhorror, der ja eher ungern von Würfelwürfen unterbrochen wird. Den Kern eines jeden PbtA-Spiels bilden die Playbooks (hier passend Skins genannt) und die Moves (Spielzüge): also was spielen die SCs und wo kommen dabei die Regeln zum Tragen. Skins bei Monsterhearts umfassen die üblichen Verdächtigen wie Vampir, Werwolf oder Hexe, werden aber auch erweitert um so unerwartete Bücher wie Ghoul, Geist, Sterbliche*r, Auserwählte*r, König*in, Fae oder Teuflische*r. Jeder Skin hat individuelle Klassenspielzüge sowie einen je individuellen Sex-Spielzug (sex move), der sagt, was passiert, wenn die Figur Sex hat. Die Hexe erhält beispielsweise einen Sympathie-Spielstein (sympathetic token) vom sexuellen Gegenüber, den sie für mächtige Hexensprüche verwenden kann; der Werwolf geht eine tiefe Verbindung ein, die es ihm erlaubt, seine*n Partner*in fortan besser zu beschützen, der*die Sterbliche kann beim Sex mit einem Monster deren*dessen Darkest Self auslösen, bei dem das Monster die Oberhand gewinnt usw. Diese Sex-Spielzüge sind so klug geschrieben, dass allein schon deshalb Sex eine Rolle am Spieltisch spielen wird! Nicht minder gut sind die individuellen Spielzüge der Skins. Der Infernal kann dem Teufel weiter seine Seele verkaufen für sehr große Macht... aber wir wissen, wie das meistens endet. Der Vampir kann einen hypnotischen Blick einsetzen und die Queen kann ihre Gang im Spiel einsetzen. Drama: Vorprogrammiert!
Das Spiel ist queer. Die Ausgrenzungserfahrungen, die Monster machen und die Ohnmachtsgefühle, die Teenager erleiden, werden in Averys Spiel ergänzt um die Gefühle von Andersartigkeit, von Queerness. Sexuelle Selbstfindung gehört untrennbar zur Teenagerzeit dazu und diese kann beliebige Richtungen jenseits der Heteronormativität einschlagen. Als wäre das Leben eines Teenager-Monsters nicht ohnehin schon schwierig genug.
Wie eingangs erwähnt ist das Spiel so beliebt, dass viele kluge Menschen sich schon dazu geäußert haben und ich statt langer Worte einfach nur auf deren Aussagen verweise:
- 3W6 Podcast-Interview mit Avery Alder (August 2018)
- Erzählspiel-Zine#002: Interview mit Avery Alder (Juni 2018)
- Avery Alder auf Google+
- Mask Magazine Interview mit Avery Alder über "The Mechanics of Care"
- Monsterhearts-Eintrag auf WikiPedia
- Älterer Artikel, aber sehr lesenswerter Artikel zu Monsterhearts 1. "The Sexuality of Monsterhearts" von Lillian Cohen-Moore (Dezember 2012) auf BitchMedia
- Ihr kennt weitere spannende Interviews mit oder Berichte über Avery? Verlinkt sie einfach in den Kommentaren oder auf Twitter und ich nehme sie gerne hier auf.
Zudem gibt es zahlreiche Actual Plays im Internet. Hier drei, die ich gerne gesehen/gehört habe (wenn Ihr weitere zur Empfehlung habt, einfach in die Kommentare und ich verlinke sie hier):
Avery Alder leitet selbst ihr Spiel auf der Gauntlet Con 2017
Mercy Falls '83-Sessions mit Jason Cordova
misscliks: Unter anderem mit Adam Koebel, dem Entwickler von Dungeon World
Ich leite am 7.10.2018 um 20 Uhr eine Runde Monsterhearts 2 auf der Drachenzwinge und Zuhörer*innen sind uns herzlich willkommen.
Avery kann man im Goblin Friendship Club unterstützen.
Ihre Produkte sind über ihren Gumroad-Store erhältlich, oder wie gewohnt über DriveThruRPG oder beim Sphärenmeister.
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