Donnerstag, 6. September 2018

#indieseptember Tag 6: "Das Weltenbuch" von Jürgen Mang

Autor Jürgen Mang von jcgames hat die Buchmetapher sehr ernst genommen und zu einer Buchallegorie, einer metaphora continua also, ausgebaut. Denn bei Das Weltenbuch (2004/2016) handelt es sich um ein "klischeehaftes Fantasy-Rollenspiel auf einer Buchdoppelseite". Ja, richtig gelesen: Die Welt ist eine aufgeschlagene Buchseite: "Beim Weltenbuch ist der Name Programm. Die Welt ist auf einer Buchdoppelseite angesiedelt und die Geographie und die Götterwelt sind von Schreibtischutensilien geprägt" (S. 4). Die Sonne dieser Welt ist die "Leselampe" (S. 8), die Welt selber in eine linke und eine rechte Hälfte unterteilt, die von der tiefen geradlinigen Falzschlucht getrennt werden (S. 9), der größte der Götter ist der Leser (offensichtlich imaginieren ihn die Weltenbuchbewohner*innen als männliche Gottheit), links und rechts ist der Seitenabgrund und es gibt das Eselsohrgebirge (S. 10), um nur einige wenige fantastische Elemente dieser grotesken und sonderbaren Welt zu nennen. Ergänzt wird das Ganze um, wie es schon im Untertitel heißt, "klischeehafte Fantasy": Die Guten, die Bösen (explizit so genannt), Magier, Elfen, Zwerge usw. Aber auch sonderbare Kreaturen, wie beispielsweise die Leseratten, die Papiertiger oder die Zwiebelfische bevölkern das Weltenbuch (S. 19-20). Es ist eine bunte Mischung aus Klischee-Fantasy und Buchreferenzen, als solche offensichtlich nicht ganz so ernst gemeint und auch eher für kurzweilige Spielesitzungen gedacht.


Um die schräge Welt zu beschreiben, braucht Jürgen viel Platz: 176 von 252 Seiten des Regelbuches dienen nur der Weltvorstellung; 44 widmen sich den sehr einfachen Spielregeln (die auf Jürgens freiem Papier-und-Bleistift-Rollenspiel Lite basieren) und die abschließenden 28 Seiten den Aufgaben der SL. Der Name Lite ist beim Regelsystem Programm: Je nach Situation und Fähigkeit stehen der*dem SC eine bestimmte Anzahl an beliebigen Würfeln mit gerader Seitenzahl (also z.B. W6, W10, W100) zur Verfügung, um den Konflikt für sich zu entscheiden. Jeder Würfel hat exakt eine 50%ige Erfolgswahrscheinlichkeit, denn gerade = Erfolg und ungerade = Misserfolg. Je mehr Würfel man hat, desto sicherer gelingt die Probe also. Mit sog. Heldenpunkten (die ein wenig an Fate-Punkte erinnern) können sich SCs weitere Würfel hinzukaufen. Je nach Konfliktschwierigkeit variiert die Zahl der benötigten Erfolge von 1 (einfach) bis 7 (unmöglich) (S. 213f.). Und das war es im Grunde auch schon. Das Klischeespiel (s.u.) regeniert Heldenpunkte, die wiederum Lebenspunkte ("Zähigkeit") regenerieren und so stetig im Fluss bleiben. Man kann mit ihnen auch "Fakten kaufen", also direkten Einfluss auf die Spielwelt nehmen. Die SL hat auch Heldenpunkte je nach Spieler*innenanzahl (Fate lässt grüßen), die zum Verfiesen der Gegner ebenso dienen, wie zum Steigern der Dramatik uvm. (S. 203)

Die Welt des Weltenbuchs (CC BY-SA 4.0) (Downloaden in guter Qualität)

Schön ist, dass der ironisch-humorvolle Ton auch im Regelteil erhalten bleibt und beispielsweise bei der Charaktererschaffung ein "Klischee" gewählt werden soll (S. 178). Davon gibt es dann auch gleich eine lange Liste, auf der sich der "Übereifrige Paladin", der "Explosive Alchemist" und die "Vollschlanke Walküre" den Spieler*innen empfehlen. Man bekommt schnell eine gute Idee davon, was das für ein Buch ist, dass "der Leser-Gott" zur Lektüre aufgeschlagen hat: It's not exactly Shakespeare.

... es bleibt zu fragen, was im Weltenbuch eigentlich verso zu entdecken ist. Auf diese Frage gibt das Regelwerk keine Antwort. Aber vermutlich braucht es schon eine sehr mutige (oder: verrückte) Gruppe von Abenteurer*innen, um das herauszufinden... und solche findet sich bestimmt an keinem Rollenspieltisch... oder?

Es gibt mehrere fertige Abenteuer, die eine Tischrunde in Das Weltenbuch ein- und entführen, darunter auch eine Kampagne um "Die Magischen Dolche" (2006) sowie ein kurzes Con-geeignetes 4-Seiten-Abenteuer, "Der Himmelsfelsen".

Merchandise darf natürlich nicht fehlen und so gibt es Kaffeetassen, T-Shirts und Sweatshirts mit Logo-Aufdruck, siehe unten.

Das Weltenbuch kommt mit eigenem Merchandise, wie etwa dieser Fashion-Collection

Kurz, Das Weltenbuch besticht durch seinen augenzwinkernden Tonfall sowie durch seine zugänglichen, auch Rollenspielneulingen leicht beizubringenden Regeln. Das bewusst Klischeehafte der Welt erleichtert den Einstieg zudem: Gut gegen Böse ist ebenso schnell erklärt wie die entsprechenden Zuordnungen (Ork böse, Elf gut). Ich vermute, wer dieses Rollenspiel spielt, wird sich von vorneherein auf einen eher witzig-albernen Abend mit zahllosen Kalauern und Wortspielen einstellen, eine amüsante und kurzweilige Runde. Vielleicht als Abwechslung zwischen den Sitzungen einer epischen Kampagne oder als Con-Abenteuer oder gar als Einführung für Nicht-Rollenspieler*innen.

Das Weltenbuch ist frei über die offizielle Downloadseite verfügbar, so dass sich jede*r selbst ein Bild von diesem lustigen Rollenspiel machen kann.

Jürgen berichtet im DORP-TV von der RPC 2016 in Köln über Das Weltenbuch


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