Montag, 9. September 2019

#indieseptember Tag 39: "Comrades: A Revolutionary RPG" von W.M. Akers

Die Woche wird explizit politisch. Viele Rollenspiele können Politik an den Tisch bringen. Aber nicht alle machen das zum zentralen Anliegen. Nach dem gestrigen Auftakt mit Red Carnations on a Black Grave (inkl. dem dazugehörigen Interview mit Catherine Ramen) geht es heute mit einem weiteren revolutionären Rollenspiel weiter. Und auch die kommenden Tage sollen Spielen gewidmet sein, die man als "politische Rollenspiele" im engeren Sinne bezeichnen könnte. Es geht nicht auch um Politik (denn jedes Rollenspiel ist immer auch politisch). Es geht vor allem um Politik. Das Thema ist Politik. Die Mechanik ist auf politische Konflikte ausgelegt. Das folgende Spiel habe ich selber schon einige Male geleitet. Das hat auch immer allen Beteiligten sehr viel Freude bereitet. Die Rede ist von Comrades: A Revolutionary RPG von W.M. Akers (@ouijum). Ein PbtA-Spiel, das im März dieses Jahres sehr erfolgreich auf Kickstarter finanziert wurde: Über $24.000 trugen 978 Unterstützer*innen zusammen. Das Spiel wurde sehr kurz darauf ausgeliefert, so dass ich es bereits im Mai leiten konnte (Spielberichte am Ende des Beitrags). 

Die Regeln

Comrades ist sehr geradliniges PbtA. Playbooks, Grundspielzüge, Klassenspielzüge, 2W6+stat, Erfolgsstufen wie gewohnt (6- / 7-9 / 10+). Die Grundspielzüge selbst orientieren sich sichtlich an existierenden PbtA-Spielen; hier wurde das Rad nicht neu erfunden, aber es rollt! Man kann "Handgreiflich werden" (Get Rough), man kann fragen "Was ist hier los?" (What's going on here?), man kann ein "Risiko wagen" (Take a Risk), "Etwas anzetteln" (Start Something), über "Beeinflussen" (Sway) oder "Heimlichkeit" (Sneak) an Gegner vorbeikommen und dabei, wie gewohnt, "Helfen/Behindern" (Help or Hinder a Comrade). Die zwei Comrades-spezifischen Grundspielzüge sind "Mit jemandem einen ruhigen Moment teilen" (Share a Quiet Moment) und "Eine*n sterbende*n Genossin in den Armen halten" (Cradle a Dying Comrade). Mit ersterem lassen sich, mechanisch gesprochen, die Bande verstärken, Wunden heilen, oder Vorteile (+1 Forward) erlangen. Mit letzerem kann im besten Fall die*der sterbende Genoss*in noch gerettet werden, oder zumindest ihre*seine letzten Worte vernommen werden, was den Wurf auf Revolutionspfade (s.u.) erleichtert und einen +1 gibt, wenn im Namen der*des verstorbenen Genoss*in gehandelt wird. Am Ende jeder Sitzung wird zudem der Spielzug "Bande justieren" ausgelöst: Jede*r nennt eine Figur, der sich die eigene Figur nähergekommen zu sein denkt und erhöht den Wert der gemeinsamen Bande um 1. Trifft das auf niemanden zu, wird eine Figur ausgewählt, von der man sich in der laufenden Sitzung entfremdet hat und die Bande um 1 gesenkt.

Die stats selbt sind neben der bereits erwähnte Bande noch Body, Mind, Spirit und Guile (also in etwa Körper, Verstand, (Kampfes)Geist und Listigkeit. Auf diese vier Werte werden +2, +1 und zwei Mal -1 verteilt. Die Charaktere sind also v.a. in einer Sache besonders gut, in einer zweiten OK und in den beiden anderen eher ziemliche Nieten. Das nötigt die Gruppe zum Zusammenhalten. Durch das Ansammeln von 5 Erfahrungspunkten kann man eine Stufe aufsteigen und z.B. einen Stat verbessern (auf max. +3) oder einen neuen Klassenspielzug aktivieren.

Das Herz von Comrades -- und der Grund, weshalb ich denke, dass es eher kein Oneshot-System ist -- sind die Revolutionspfade (Pathways to Revolution). Das Voranschreiten der revolutionären Zelle auf dem Weg zur Revolution kann im Spiel auf fünf verschiedenen Wegen erfolgen: Force, Organization, Zealotry, Mayhem und Fellowship. Mechanisch sieht das so aus, dass am Ende jeder Sitzung die Gemeinschaft eine Figur bestimmt, die sich in der Sitzung mit ihren Bemühungen um die Revolution besonders hervorgetan hat. Dann wird bestimmt, welche der Pfade in dieser Sitzung eine Rolle gespielt haben. Hat man mit Bomben und ggf. Kollateralschäden die Gegner bekämpft...? Dann vielleicht Verwüstung (mayhem). Hat man einen aufwändigen und sorgfältigen Plan durchgeführt...? Dann vielleicht Organisation (organization). Hat man sich mit einer rivalisierenden Gruppe aus dem politisch entgegengesetzten Spektrum eine Schlägerei geliefert...? Dann Kraft (force) usw. Die eingangs bestimmte Figur würfelt mit den eigenen (!) stats dann auf alle ausgewählten Pfade. Bei einer 10+ schreitet die Gruppe einen Level auf diesem Pfad voran. Bei einer 7-9 schreitet man nicht voran, hat sich aber öffentliches Ansehen und für alle je einen Erfahrungspunkt verdient (bei kürzeren Kampagnen empfiehlt das Regelwerk, auch hier voranzuschreiten). Es gibt pro Pfad fünf Level, von denen jeder in der kommenden Sitzung einen Vorteil bietet: Etwa ein Waffen- oder Sprengstofftraining für alle Mitglieder, oder ein verstärktes Gemeinschaftsgefühl, dass den Bandenwert steigen lässt usw. Erreicht die Gruppe auf einem der Pfade Level 5 geht es zur Sache und die Gruppe kann die Revolution starten: Je nach Pfad durch Wahlen, Straßenkämpfe, Schreckensherrschaft, das Anzetteln von Massenprotesten oder  Attentate.

Die Spielbücher

Das Herz eines PbtA-Spiels sind die Spielbücher. Die sind in Comrades sehr schön geschrieben. Es gibt Künstler*in, Schläger*in, Demagog*in, Mystiker*in, Patron*in, Profi, Propagandist*in, Soldat*in, Student*in und Arbeiter*in. Die jeweiligen Klassenspielzüge bereichern das Spiel durch ihre Vielfalt (auch wenn es den ein oder anderen +1 auf dies, +1 auf jenes-Spielzug gibt). Einige Spielzüge modifizieren bestehende Grundspielzüge (etwa Schläger*in: "Wenn Du jemandem etwas brutal Ehrliches sagst, zählt das schon als 'Einen ruhigen Moment teilen'. Füge +1 auf den Wurf hinzu."). Mit anderen kann man eine Gang erhalten. Oder Stat-Werte außerhalb der o.g. Verteilung bestimmen. Oder im Allgemeinen etwas tun, das nah an der Natur des Spielbuchs ist, wie etwa "Geld auf das Problem schmeißen" (Patron*in), sich eine Waffe oder Bombe aus Alltagsgegenständen zusammenmacgyvern (Profi) oder Dinge herstellen oder reparieren (Arbeiter*in). 

Setting

Das Spiel kommt mit einem vorgefertigten Setting daher, wobei es ohne Aufwand möglich ist, eine Comrades-Runde in einem eigenen Setting spielen zu lassen. Das Setting spielt im fiktiven osteuropäischen Reich Khresht (also eine klassische ruritanische Romanze, nach dem ebenso vergnüglichen, wie kurzweiligen Roman The Prisoner of Zenda von Anthony Hope). Im Februar 1915 leidet die Bevölkerung Khreshts nicht nur am harten Winter und dem Anrücken der Armee des Deutschen Kaisers, sondern auch an der krassen Armut und Vermögensungleichheit in Khresht selbst. Während auf den Straßen die Menschen verhungern und erfrieren, werden im Türkisen Palast lukullische Gastmähler abgehalten. Kein Wunder, dass es in der Hauptstadt rumort.... In meinen eigenen Runden (s.u.) habe ich nur den groben Rahmen von Khresht übernommen, alles andere aber improvisiert.

Ergänzt wird dieses sehr ausführliche Setting um zwei weitere, kurze Settingskizzen: New York 1777 und Callisto 2219, einem futuristischen Setting also, denn warum sollen Revolutionen immer nur eine Sache der Vergangenheit sein?! Letzteres spielt auf dem vierten Jupitermond; ersteres inmitten des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges.

Die Spielerfahrung (und Fazit)

Comrades: A Revolutionary RPG ist ein PbtA-Spiel, das durch sein Setting besticht. Bei uns kamen in allen Runden eher politische Romanzen heraus, mit tragischen Helden und Verzweiflungstaten und ich hatte das Gefühl, dass jede Sitzung mit hektischen Parallelmontagen endete, weil sich so viele Dinge gleichzeitig ereigneten. Allerdings haben auch die ruhigen Momente und die politischen Debatten ihren Platz gehabt. Kurz: Das Spiel kann eine Reihe von Stimmungen einfangen und gut bedienen. 

Die erste Sitzung war ein TwoShot auf der Drachenzwinge und sie endete mit einem Pyrrhussieg für die Genoss*innen. Zwar konnte das verhasste Khresther Kaiserhaus gestürzt werden, aber die Genoss*innen hatten dafür so hohe Opfer bringen müssen, dass die Faschisten die Gunst der Stunde ergriffen und Khresht unter ihre Herrschaft brachten. Die Spieler*innen hatten den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben! Auf dem Weg dorthin opferte sich der Schläger [The Brute] für die gerechte Sache und warf sich in die Schussbahn. Das bestimmte sehr stark den weiteren Verlauf der Sitzung. Die revolutionäre Zelle unter der Finanzierung der Patronin (The Patron; deren Geld ausgerechnet aus der Waffenproduktion kam, mit der die Polizei die Revolutionär*innen abschoss!) wurde dadurch in eine regelrechte Jetzt-erst-recht-Stimmung versetzt und sprengte am Ende das Opernhaus in die Luft, in dem eine berühmte Primaballerina (The Artist) ihren buchstäblich letzten Tanz aufführte. Kaiserin und Obrigkeit waren anwesend, als das Dach einstürzte. Danke an alle Mitspieler*innen aus der Drachenzwinge (@drachenzwinge), darunter auch Niniane (@storiesandchars) vom Fatecast (ihr Student [The Student] wurde von den Faschist*innen nach deren Machtergreifung zwangsexmatrikuliert und sein Schicksal ist bis heute ungeklärt...).

Die zweite Gruppe beendete das Spiel mit einem klareren Sieg der Genoss*innen. Aber darüber muss ich nicht so viel schreiben, da diese drei Sitzungen aufgezeichnet sind. Ich habe sie unten für Euch verlinkt. Schaut uns also gerne zu, wie wir das Regime in Khresht zu Fall bringen.

Actual Plays und weiterführendes Material

Es gibt nicht so viele APs. Tatsächlich waren unsere deutschen APs die ersten im Netz. Wir haben über den Gauntlet gespielt. 

Wer nach diesem Artikel oder nach dem Anschauen der APs Lust auf das Spiel bekommen hat, kann es z.B. auf DriveThruRPG oder beim Sphärenmeister kaufen.
Comrades: Nieder mit der Khresther Kaiserin Teil 1von3

Comrades: Nieder mit der Khresther Kaiserin Teil 2von3

Comrades: Nieder mit der Khresther Kaiserin Teil 3von3

David Morrisons San Judas-Reihe

Interview mit W.M. Akers auf Hijos del Rol

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