Dienstag, 3. September 2019

#indieseptember Tag 33: "Hero Kids" von Justin Halliday (2013)

Bei den jährlich auf der Gen Con verliehenen ENnie Awards gibt es auch die Kategorie "Best Family Game". In dieser Kategorie hat 2013 das vorliegende Spiel Hero Kids von Justin Halliday 2013 die Silbermedaille gewonnen. Und auf DriveThruRPG gehört das Spiel zu den Gold Seller-Titeln. Es ist also, obwohl es für die Kleinen ist, eine feste Größe auf dem Rollenspielmarkt. Auf herokidsrpg.blogspot.com kann man die seitdem entstandene Produktpalette bewundern. Da gibt es das Spiel selbst (Hero Kids: The Game), eine Reihe von Abenteuern (Hero Kids: Adventures) und von Erweiterungen (Hero Kids: Expansions) sowie Miniaturen (Hero Kids: Miniatures). Das Spiel ist zudem auch in andere Sprachen übersetzt worden, z.B. ins Französische, ins Italienische, ins brasilianische Portugiesisch und ins  Deutsche

Rollenspiel über Kinder, Rollenspiele für Kinder

Anders als die bisher im #indieseptember besprochenen Spiele ist Hero Kids nicht nur ein Spiel über Kinder, sondern auch für Kinder. Das ist bekanntlich ein schwieriges Genre, da 8-Jährige nicht unbedingt Spaß bei langen Gefechten mit zahllosen Rechenregeln haben dürften. Es gibt im Netz viele Diskussionen darüber, welche Rollenspiele geeignet sind und ab wann man mit Kindern spielen sollte und wie lange... etwa hier im Tanelorn, oder hier auf Teilzeithelden (eine schöne Rezension des Spiels) oder hier der Bericht von Judith und Christian Vogt über ein "heruntergebrochenes" und kindgerechtes Fate Core (der Link führt zur WayBack Machine, da auf dem neuen Blog der Artikel scheinbar fehlt). Auch auf der diesjährigen Nord Con gab es einen von Stefan Küppers geleiteten und sehr gut besuchten Workshop zum Thema Rollenspiel mit Kindern. Das dem Thema derzeit so viel Aufmerksamkeit zukommt, und dass große Verlage wie Ulisses mit dem My little Pony-Rollenspiel Tails of Equestria (das ich tatsächlich schon mit meiner 5-jährigen Tochter gespielt und gemeinsam für gut befunden habe) ihre Produktpalette erweitern, ist eigentlich nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass die in den späten 1980ern und frühen 1990ern mit Rollenspiel aufgewachsenen Kinder nun oft selbst Eltern sind und sich daher sehr wünschen, die Leidenschaft für das Rollenspiel mit ihren Kindern zu teilen. Ist Hero Kids dafür gut geeignet?

Hero Kids: Kinderfreundliches Rollenspiel

Das Regelwerk umfasst 50 Seiten im zweispaltigen Querformat. Zwar gibt es viele, z.T. auch ganzseitige (und im Übrigen sehr schöne) Illustrationen, aber es ist auf den ersten Blick doch sehr viel Text. Rollenspieler*innen kennen das. Aber für Kinder evtl. doch etwas viel...? Das Regelbuch macht es nicht ganz explizit, suggeriert aber immer wieder, dass die Spielleitung ein*e Erwachsene*r sein sollte (etwa in den SL-Tipps, wenn es heißt "You might be used to playing 3 or 4-hour sessions with adult players, but keep the kids’ sessions shorter (up to an hour).", S. 27). Es ist also ein Rollenspiel für Kinder, das aber ganz klar die Anleitung einer erwachsenen Person braucht (nicht zuletzt, um 50 Seiten Regelwerk zu lesen und zu verstehen). Wer hoffte, es seinen 7-jährigen Kindern in die Hand drücken zu können und zu sagen: "Macht mal!", wird enttäuscht. Aber wie schon im vorherigen Absatz ausgeführt, richtet sich Hero Kids (und ähnliche Spiele) meines Erachtens primär an die mit Rollenspiel groß gewordene Generation der jetzt zwischen 30- und 50-Jährigen.

Aus diesem Grund glaube ich, dass der pädagogische Duktus des Regelwerks nicht unbedingt nötig hätte sein müssen, das ist klares preaching to the converted, wie man so schön sagt: "Younger kids can start with counting and as they grow up they can work their way through the more complicated skills that RPGs develop. And while the kids are doing all this learning, you can spend time together playing a fun game that offers endless opportunities for excitement and adventure." (S. 5) Mag sein, dass das alles stimmt, aber ich empfinde solche Loblieder auf den pädagogischen Mehrwert kommerzieller und kultureller Produkte immer etwas angestrengt. 

Ob und wie sehr das Produkt wirklich für Kinder geeignet ist, entscheiden aber die Regeln und die Regeldarstellung. Schauen wir uns diese also genauer an.

Die Regeln von Hero Kids

Auf die vier Werte melee, ranged, magic, armor (S. 10) werden zwischen 0-3 W6 verteilt.
Je mehr Würfel, desto besser. In einer Kampfsituation würfelt die Angreiferin ihren Pool (z.B. auf Nahkampf) und der Verteidiger seinen Pool (auf Armor). Es gilt: 
Höchste Angriffswürfel ≥ Höchster Verteidigungswürfel = Gelungene Attacke
Höchste Angriffswürfel < Höchster Verteidigungswürfel = Misslungene Attacke
Alle Charakterklassen haben je eine eigene Bonusfertigkeit, die Vorteile bei bestimmten Würfen gewährt. Die Schadensstufen sind OK → Grazed → Bruised → Hurt → KO (S. 14). Held*innen starten mit drei Schadensboxen (Bruised/Hurt/KO), was bedeutet, dass sie zwei Treffer einstecken können, beim dritten aber KO gehen (i.d.R. ist ein Treffer = 1 Schaden). Monster haben je nach Mächtigkeit zwischen 1 (schwach) und 4 (Boss) Schadensboxen. Wer KO ist, muss erst geheilt werden (z.B. durch die*den Heiler*in, durch Tränke oder, klassisch, durch Rasten). 

Das ist soweit ein recht simpler Regelmechanismus für kämpferische Begegnungen ("encounterism"). Ab S. 18 wird unter dem Stichwort "Adventuring" erläutert, wie man jenseits dieses begegnungsbasierten Ablaufs spielen kann: "Children’s abilities explode between 4 and 10, so there’s a large gap between the capabilities of the younger and older players of Hero Kids. If you’ve got older players (or well-practiced younger players) and want to challenge them a bit more, you can integrate some adventuring mechanics." Das umfasst vor allem Talentproben (skill checks), die mit einem Pool gegen eine vorher festgelegte Schwierigkeit gewürfelt werden. Die Würfelmechanik ist wie im Kampf: Höchster Würfel ≥ Schwierigkeit = Erfolg. 

Die vorgefertigten Held*innen in Hero Kids sind (in je männlicher und weiblicher Ausführung) ein Warrior (S. 32), ein Hunter (S. 33), ein Warlock (S. 34), ein Brute (S. 35) und ein Healer (S. 36), wobei Kinder auch aufgefordert sind, eigene Held*innen zu entwickeln. Ab S. 40 wird diesen Figuren eine Reihe an Monstern entgegengestellt: Riesenratte, Fledermaus, Königskobra, Pirat*innen, Skelette uvm. wartet darauf, von den Held*innen aufgemischt zu werden. Jede dieser Figuren hat im Regelwerk einen Pappaufsteller, der sich druckerfreundlich ausdrucken und ins Spiel integrieren lässt. 

Fazit: Wie gut ist Hero Kids?

Die Ausrichtung auf (kämpferische) Begegnungen wirkt sehr US-amerikanisch. Das muss man mögen und ich könnte mir vorstellen, dass viele deutsche und über DSA sozialisierte Spieler*innen das eher uninteressant finden (und folglich vielleicht auch ihren Kindern die Begeisterung dafür nur unzureichend weitergeben).

Auch das beigefügte Abenteuer "BASEMENT O RATS" (siehe links) gibt gleich auf der ersten Seite als ersten Wert die Anzahl der Begegnungen (es sind fünf) an. Es gibt aber auch die voraussichtliche Spielzeit von 30 Minuten an, was 6 Minuten pro Begegnung macht. Das System ist also für einen schnellen Kampf ausgelegt. Rezensent Tim Charzinski liegt mit seinem auf teilzeithelden.de veröffentlichten Urteil aber sicher nicht ganz falsch, wenn er schreibt: "Durch die Battlemaps, die eingeschränkten Möglichkeiten und die fehlende Charakterentwicklung muss man Hero Kids den Titel Rollenspiel absprechen!"

Alle Held*innen sind Kinder ("Hero Kids is set in the sort of world where grown-ups are constantly getting themselves into trouble, and where the kids are the ones who sort it out." (S. 6)). Doch diesen Umstand würde man vielleicht schnell vergessen, wenn man nicht durch die zahlreichen und sehr schönen Illustrationen und Pappaufsteller daran erinnert werden würde. Letztlich spielt es keine Rolle, ob die Figuren alt oder jung sind, da es keine Welt mit lore gibt (sieht man einmal von dem eben zitierten Satz über die Erwachsenen in Schwierigkeiten sowie die eine [!] Seite über die Spielwelt "The Brecken Vale" [S. 7] ab). 

Hero Kids punktet also durch die liebevolle Aufmachung; die wunderschönen Illustrationen; die skalierbare Schwierigkeit (für ältere Kinder kommen skill checks und mehr Ausrüstungsmanagement dazu); und die umfangreiche Produktpalette, die dem Spiel nach Wünschen neue Aspekte verleiht (es gibt z.B. ein Ausmalbuch, so dass Kinder sich ihre Held*innen selbst ausmalen können; aber auch die zu erwartenden zahlreichen Hacks, wie das rechts abgebildete Hero Kids in Space). 

Man merkt, dass ich noch nicht restlos überzeugt bin. Allerdings habe ich es bislang noch nicht mit meinen Kindern getestet (meine Tochter ist 5, das könnte ganz gut funktionieren, mein Sohn ist noch zu jung). Aber der Erfolg und die Vielfalt an Produkten hat eine Aufnahme dieses Spiels in den #indieseptember durchaus gerechtfertigt. Wer Erfahrungen hat, teile sie gerne in den Kommentaren!

Sonstiges

Wie zu erwarten gibt es nicht so viele Actual Plays von Hero Kids, wie von anderen Rollenspielen, da die Spielenden Kinder sind (und nicht jede*r Videos seiner Kinder auf YouTube einstellen möchte). Einige habe ich aber dennoch gefunden und mal reingeschaut. Die sind z.T. sehr sehenswert und niedlich. Hier drei zur Auswahl, das erste zeigt Spieleentwickler Justin Halliday mit (seinen?) Kindern:

Justin Halliday spielt sein Spiel Hero Kids

AP Hero Kids

Kein richtiges AP, aber interessant, weil hier mit sechs Kindern (!) gespielt wird

Wer das Spiel kaufen möchte, kann auf der Hero Kids RPG-Webseite alles finden bzw. ganz klassisch auf DriveThruRPG gehen, wo es für $5.99 erhältlich ist. Die Links zu Ulisses gibt es oben im Artikel. 
Justin ist auch verantwortlich für Heroes Against Darkness, ein kostenloses d20-Rollenspiel.

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