[Fortsetzung der Reihe über politische Spiele im Oktober, siehe vorherigen Post]
Psi*Run (das "p" ist stumm, also /saɪ/) hat sich in den letzten zwei Jahren zu meinem Go-To-Spiel für spontane One- bis Two-Shot-Runden entwickelt. Es ist con-geeignet und holt die verschiedensten Spieler*innen-Typen sehr gut ab. Es ist regelleicht und schnell erklärt, hat eine klare und sich oft wiederholende Struktur und eine eingängige erzählerische Prämisse. Ich denke, wenn man Trad-Rollenspieler*innen zeigen möchte, was Erzählspiele sind, dann ist Psi*Run ein besonders gutes Vorzeigespiel (ohne dass wir selbst gut definieren könnten, was "Erzählspiele" eigentlich sind, wie der Essay "Wie Regeln beim Geschichtenerzählen helfen" von Markus [@wienna] in Handbücher des Drachen II [S. 35-44] und die Replik von Julian auf tearlessretina [@hyadestroy] zeigen; wie schon angekündigt, werde ich zu dieser Sache mit dem Definieren in Kürze einen eigenen Beitrag veröffentlichen). Psi*Run zeigt in komprimierter Form, dass es nicht mehr als 2-3 Regeln, ein paar sechsseitige Würfel und eine Reihe von Fragen braucht, um ein schönes, kleines Erzählspiel zum Leben zu erwecken.
Psi*Run (das "p" ist stumm, also /saɪ/) hat sich in den letzten zwei Jahren zu meinem Go-To-Spiel für spontane One- bis Two-Shot-Runden entwickelt. Es ist con-geeignet und holt die verschiedensten Spieler*innen-Typen sehr gut ab. Es ist regelleicht und schnell erklärt, hat eine klare und sich oft wiederholende Struktur und eine eingängige erzählerische Prämisse. Ich denke, wenn man Trad-Rollenspieler*innen zeigen möchte, was Erzählspiele sind, dann ist Psi*Run ein besonders gutes Vorzeigespiel (ohne dass wir selbst gut definieren könnten, was "Erzählspiele" eigentlich sind, wie der Essay "Wie Regeln beim Geschichtenerzählen helfen" von Markus [@wienna] in Handbücher des Drachen II [S. 35-44] und die Replik von Julian auf tearlessretina [@hyadestroy] zeigen; wie schon angekündigt, werde ich zu dieser Sache mit dem Definieren in Kürze einen eigenen Beitrag veröffentlichen). Psi*Run zeigt in komprimierter Form, dass es nicht mehr als 2-3 Regeln, ein paar sechsseitige Würfel und eine Reihe von Fragen braucht, um ein schönes, kleines Erzählspiel zum Leben zu erwecken.
Das Spiel basiert auf der 2007 von Chris Moore und Michael Lingner herausgegebenen Ashcan-Version, die Meguey Baker vier Jahre später, 2011, in überarbeiteter Form veröffentlicht hat. Es eignet sich für 3-5 Spieler*innen zzgl. einer SL. Benötigt werden nur die Runner Sheets, das Risk Sheet (auf dem gewürfelt wird), 6W6 und ein paar Karteikarten. SL-los habe ich es auch schon gespielt, das funktioniert auch ganz gut, da das Erzählrecht ohnehin oft wandert (s.u.). Eine Runde dauert etwa vier Stunden, wobei man die Länge sehr leicht beeinflussen kann, indem man den Charakteren mehr oder weniger Fragen gibt (s.u.)
Psi*Run: Die Prämisse
It starts with the smell of melting plastic. The angles are all wrong, and there are sounds of pain, human and machine. The taste of adrenaline coats your tongue. Get out. Get out! RUN! (S. 4)
Die Charaktere erwachen in oben beschriebener Situation. Ein Unfall sorgt dafür, dass sie frei sind. Frei wovon? Von Ketten? Von Handschellen? Von seltsam bläulich schimmernden Kraftdämpfern? Und wie sind die Charaktere überhaupt in dieses Transportfahrzeug (ein Jeep, ein Helikopter, ein Transportschiff...?) gelangt? Und warum wissen alle dort anwesenden Personen instinktiv, dass sie hier raus und, so der Titel des Spiels, RENNEN müssen?
Jede Runde Psi*Run beginnt mit dieser Prämisse. Die Fragezeichen werden gemeinsam zu Ausrufezeichen gemacht. Die SL kann beispielsweise fragen: "Als Du Deine Augen öffnest siehst Du, dass Du in einem Transportfahrzeug bist. Was ist das für ein Fahrzeug?" Oder: "Schmerzen, dort wo Deine Fesseln waren. Wo warst Du gefesselt und mit was?" Oder: "Irgendwie hast Du das Gefühl, schnell wegrennen zu müssen. Hast Du eine Intuition warum?" So wird gemeinsam aus der ersten, immer gleichen Ausgangssituation der Grundstein für das Spiel gelegt, der immer in den RUN, die Flucht, mündet.
Der erste Bestandteil des Titels, Psi, kommt kurz darauf zum Tragen. Denn die Charaktere entdecken auf der Flucht, dass sie Psi*Kräfte haben. Diese dürfen sich die Spieler*innen in der Charaktererstellungsphase frei auswählen. Es gibt keine Einschränkungen. Zeitreisen, Fliegen, Gedankenmanipulation, Größenveränderung, Blitze schießen, Kontrolle über ein Element... Jeder Charakter hat eine solche Kraft.
Warum müssen die Charaktere den Grund für ihre Flucht und die Art ihrer Kräfte erst entdecken? Die Antwort: Teil der Prämisse ist, dass sie alle ihre Erinnerung verloren haben. Vielleicht eine Folge des Unfalls? Vielleicht aber auch eine Folge der Gefangenschaft? Das wird das Spiel zeigen. Die Bewegung des Spiels ist also eine doppelte: Vor den Verfolger*innen weglaufen und auf das eigene Selbst zulaufen. Jede Aktion, die die Charaktere unternehmen kann potenziell eine Erinnerung auslösen. Und damit sind wir schon bei den Regeln:
Psi*Run: Die Regeln
Jedes Mal, wenn die Charaktere auf ihrer Flucht etwas Außergewöhnliches machen wollen, stellen sie einen Würfelpool zusammen, der 4-6 sechsseitige Würfel umfasst. Würfel 5 und 6 kommen hinzu, wenn die Aktion Psi*Kräfte beinhaltet und/oder Schaden riskiert. Der Pool wird gewürfelt und die einzelnen Würfel nun auf einem vorgefertigten Würfel-Sheet verteilt. Je höher die Zahl, desto reibungsloser läuft die Aktion in der Kategorie ab. Die Kategorien sind:
- Erreichen des Ziels (goal)
- Aufblitzen einer Erinnerung (reveal)
- Aufholen der Verfolger*innen (chase)
- Psi*Kraft (psi)
- Schaden (harm)
Da man bei Einsatz aller fünf Kategorien mit 6W6 würfelt, hat man also einen freien Würfel. So kann man beispielsweise den niedrigsten Würfel weglegen und nur die hohen fünf Zahlen verteilen.
Das Verteilen hat zwei Konsequenzen. Die Bestimmung der Qualitätsstufe (bei Psi, z.B., ob die Kraft reibungslos eingesetzt wird, leichte Nebeneffekte hat oder gar katastrophale Nebeneffekte) und die Verteilung der Erzählrechte (bei Psi: Spieler*in hat Erzählrecht bei reibungslosem Einsatz, andere Spieler*innen haben Erzählrecht bei leichten Nebeneffekten und die SL hat Erzählrecht bei katastrophalen Nebeneffekten). Man wird also bemüht sein, möglichst hohe Würfel zu verteilen. Aber da man nicht nur Sechser würfelt, muss man auf einige Kategorien niedrige Zahlen legen und akzeptieren, dass die Aktion nicht in jeder Hinsicht wünschenswert verläuft. Das ist ein Abwägen: Lege ich die 6 auf Psi, damit es keine Nebeneffekte gibt, dann muss ich vielleicht eine 3 auf Chase legen und akzeptieren, dass meine Verfolger*innen ein Stück aufholen).
Wenn hohe Zahlen auf REVEAL gelegt werden, erinnert sich die handelnde Person an etwas aus der Vergangenheit. Bei der Charaktererschaffung haben alle Spieler*innen für ihre Figuren eine Reihe von Fragen festgelegt (vier ist eine gute Zahl; nimmt man <4 dauert das Spiel weniger lang und umgekehrt). Mit jeder Erinnerung wird eine dieser Fragen beantwortet (und sobald der erste Charakter alle Fragen beantwortet hat, endet das Spiel). Je nach Erzählrecht (s.o.) macht man das entweder selbst, oder die anderen Spieler*innen oder die SL. Es kann also vorkommen, dass man zu Beginn bei einer Frage des eigenen Charakters schon eine Idee hatte, die anderen Spieler*innen mit einer unerwarteten Antwort das Charakterkonzept in eine ganz andere Richtung bewegen. Hier ist nicht nur die Story sog. "play to find out", es sind sogar die Charaktere! Das macht Psi*Run sehr besonders, da man in wenigen anderen Spielen soviel Hoheit über den eigenen Charakter abgibt, wie hier.
Das sind im Grunde auch schon alle Regeln. Die ändern sich nur in einer Situation. Wenn die Verfolger*innen aufholen. Jede Szene spielt an einem Ort. Die Verfolger*innen sind zu Beginn zwei Orte ("Kästchen") hinter den Charakteren, bleiben ihnen aber auf den Fersen. Holen sie die Charaktere ein, wird in der folgenden Szene die Kategorie CHASE durch CAPTURE ersetzt. Wenn hier eine niedrige Würfelzahl abgelegt wird, kann es passieren, dass die Verfolger*innen einen oder mehrere der Charaktere einfangen. Dann wiederum wird CAPTURE durch DISAPPEAR ersetzt: Landet hier eine niedrige Zahl drauf, dann verschwindet der Charakter, für immer (und die*der Spieler*in kann dann ggf. als Ko-SL fungieren).
Schaden (harm) ist die letzte regelmechanische Modifikation des ansonsten immer gleichen, oben beschriebenen Ablaufs. Wenn hier irgendwann eine kleine Würfelzahl landet, kann ein Charakter verletzt werden, was ihr*ihm einen Nachteilswürfel gibt. Entweder verliert man den Extra-Würfel oder, bei doppeltem Schaden, die höchste gewürfelte Zahl. Heilung ist eine Aktion, für die wieder ein Würfelpool zusammengestellt wird usw...
Das Spiel endet, sobald der erste Charakter alle Fragen beantwortet hat. Dann gibt es einen Epilog, in dem alle (in Reihenfolge ihrer Anzahl beantworteter Fragen) erzählen, wieso sie nicht mehr auf der Flucht sind. Man wählt eine Option aus einer Liste aus. Jede darf nur einmal gewählt werden. Wählt z.B. Charakter 1 die Option "... weil ich zuhause bin", können die anderen Charaktere diese Option nicht mehr wählen und müssen eine andere Art von Epilog erzählen.
Actual Plays und weiterführende Links
Im sehr hörenswerten Podcast The Farrier's Bellows (zu Deutsch in etwa: Des Hufschmieds Blasebalg) (@farriersbellows) war gleich die zweite Folge zu Psi*Run, was, denke ich, zeigt, dass die Macher*innen das Spiel ebenfalls als prototypisches Erzählspiel ansehen.
Hier kann man Psi*Run auf Night Sky Games kaufen.
Es existieren ein paar inoffizielle Hacks, die ich noch nicht getestet habe, die aber sehr spannend klingen, wie z.B. der Hack "Days of Future Past" (offensichtlich ein X-Men-Hack) und der Terminators-Hack.
Ein Interview mit Chris Moore und Michael Lingner kann man auf dem Podcast Theory from the Closet hören, das zum Glück noch über die Wayback Machine verfügbar ist (sowie zahlreiche andere Interviews und Folgen dieses hörenswerten Podcasts).
APs gibt es zahlreiche, hier nur zwei zur Auswahl:
Psi*Run-Runde mit Meguey Baker (2013)
Teil 1von2 einer Psi*Run-Runde auf dem Gauntlet, in der ich selbst mitspiele
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