Mittwoch, 11. September 2019

#indieseptember Tag 41: "Mars Colony" von Tim. C. Koppang (2010)

Das Genre der Duette oder Zwei-Personen-Rollenspiele ist bislang zu kurz gekommen. Im Grunde habe ich im letzten Jahr mit Doll nur ein einziges Zwei-Personen-Spiel vorgestellt (im Gauntlet-Forum gibt es übrigens eine beachtliche Liste von Duetten). Dabei mag ich die Art von Spiel sehr gerne. Grund genug, ein politisches Spiel vorzustellen, das mir sehr gefällt: Tim C. Koppangs (@tckoppang) Mars Colony. Das Politische taucht bereits im Untertitel des Spiels auf: "A roleplaying game for two players about personal failure and government." Hier werden also, wie schon in der feministischen Debatte der 1970er Jahre, das Persönliche (personal failure) und das Politische (government) verschränkt (diese sprichwörtliche Verschränkung geht auf einen Aufsatz von Carol Hanisch zurück: "The Personal is Political"). Diese Verschränkung wird also eingangs im Untertitel betont und dann noch einmal abschließend im Schlusswort, "Influences", wo es heißt: "Out of these feelings of personal failure came the original idea for Mars Colony. Science fiction and my frustration with American politics provided the remaining ingredients." (S. 46) 

Mars Colony: Setting und Regeln

Die Besiedlung des Mars, eine fehlgeschlagene Utopie. Die besten Wissenschaftler*innen, Baumeister*innen und Geschäftsleute werden entsandt, um auf dem Mars eine bessere Welt zu errichten. Doch die Kolonie auf dem Mars wird von Umwelteinflüssen zerrieben, von einer zerschlissenen Infrastruktur gelähmt und von sozialen Unruhen gebeutelt. Noch gelingt es der Erde, dieses Versagen geheimzuhalten, aber wer weiß, wie lange das noch gut gehen wird. Also entsendet man Kelly Perkins als Expert*in und Berater*in zum Mars. Wie ein*e Retter*in wird Perkins bei der Ankunft begrüßt. Doch auch sie*er hat starke Selbstzweifel. Ob Perkins es richten kann?

Ein*e Spieler*in spielt Kelly Perkins ("Kelly can be male or female", S. 8; ich werde im Folgenden die weibliche Form verwenden, da die Regeln das auch tun), das ist die Rolle "Savior". Die*der zweite Spieler*in übernimmt den Part aller anderen Figuren; diese Rolle wird "Governor" genannt. "The object of the game is to tell a meaningful story about Kelly Perkins’ attempt to save Mars Colony and cope with her own sense of self-worth." (S. 8)

Links die Erde, rechts der Mars (lizenzfreies Bild)
In einzelnen Szenen geht es jeweils um ein konkretes Problem der Marskolonie, das Kelly Perkins lösen muss. Haben ihre Pläne Erfolg, kann die Kolonie schlussendlich auf eigenen und sicheren Beinen stehen. Misslingen ihre Pläne, muss Kelly am Ende entscheiden, ob sie die Konsequenzen auf sich nimmt, oder es zu vertuschen versucht, was u.U. zu einem politischen Skandal führen könnte. Es gibt neun Versuche, das Schicksal der Kolonie zum besseren zu wenden, bevor das Spiel endet.

Die Vorbereitungsphase (setup stage) des Spiels verläuft in mehreren Stufen, in denen z.B. die beiden Spieler*innen verdeckt jeweils drei Angst-Karten erstellen (Fear Cards), die politische Ängste der Spieler*innen repräsentieren ("each player secretly writes one thing on each card that he fears about his real-life government"; S. 11). Auch werden 2-4 tatsächlich existierende politische Parteien gewählt, die als Grundlage zur Ausgestaltung der fiktiven politischen Parteien im Spiel dienen.  Diese werden auf einem entsprechenden Übersichtsblatt eingetragen und jeweils als Randpartei, Minderheitenpartei oder Volkspartei markiert (fringe, minority, dominant). Auch werden von vier möglichen Institutionen jeweils eine Person ausgewählt und mit einer Partei verbunden. So könnte z.B. Mayor Yang (eine vorgefertigte Figur, die jedoch im Spiel erst mit Leben gefüllt wird) dem politisch rechten Spektrum zugehören, während die Mars-News Network Corp. eine liberale Vorsitzende (Chief Serena Panin) hat usw. Auch Kelly Perkins gehört einer Partei an, die in dieser initialen Phase bestimmt wird. Sie hat zudem eine Person auf dem Mars, mit der sie eng verbunden ist (Sympathy genannt). Zu guter letzt werden noch drei sog. Health Markers ausgesucht, Sachen mit denen die Kolonie zu kämpfen hat, wie z.B. Korruption, Gesundheitswesen, Krankheiten, Atmosphäre oder Erziehung. Kellys Aufgabe wird es sein, diese Probleme zu neutralisieren.

Nach einer kurzen Eröffnungsvignette kann für die folgenden Szenen einer von drei Typen gewählt werden: Persönliche Szenen (S/G), Oppositionsszenen (G) und Fortschrittsszenen (S). Die Buchstaben zeigen an, welche Rolle welche Szenen wählen kann, S = Savior, G = Governor. Szenen können beliebig lange dauern und zu jedem Zeitpunkt spielen, also Szene 2 auch zeitlich vor Szene 1. In Fortschrittsszenen sucht sich die*der Spieler*in von Kelly einen Health Marker aus, um den sich Kelly in dieser Szene kümmern wird. Kelly beschreibt, was sie plant, würfelt dann zwei W6 und erhält so viele Punkte Fortschritt. Bei 20 Punkten ist es ein beachtlicher Fortschritt, bei 40 hat sie die Lage stabilisiert. Nun kann sie erneut würfeln und die Punkte hinzuaddieren. Aber: Zeigt einer der Würfel eine 1, misslingt der Plan und es gibt keine Health Points für die Szene. Allerdings muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass Kelly in Ungunst bei der Bevölkerung fällt (und ein Stein von "Admiration" zu "Contempt" wandert). Sie kann sich für eine Täuschung der Kolonist*innen entscheiden (bei einer 1, bei einer Doppel-1 nicht). Dann werden alle bisher in der Szene erwürfelten Punkte (inkl. der 1) bei dem Health Marker in der Spalte "Lies" eingetragen; ein Stein wird von "Admiration" zu "Deception" bewegt. Mechanisch sind Lies- und Health Points identisch, bei 40 ist die Lage unter Kontrolle (entweder tatsächlich oder in den Augen der Öffentlichkeit).
Marsoberfläche


Je mehr Deception-Punkte angesammelt werden, desto wahrscheinlicher wird ein politischer Skandal. Bei einem deception token gibt es einen Skandal bei einer 1 auf dem Wurf. bei zwei tokens bei [1,1], dann auch [1,2] usw. Ein Skandal bewegt admiration zu contempt.

Am Ende steht eine abschließende Vignette. Bei mind. drei stabilisierten Health Markers ist die Marskolonie wieder zu einem erfolgreichen Außenposten geworden. Gibt es keine abgeschlossenen Health Markers kollabiert die Kolonie. Alles dazwischen ist Entscheidungssache der Spieler*innen. 

Fazit

Das Spiel ist regelleicht und die beigefügten Sheets enorm übersichtlich. Es gibt ein klares Ziel und doch spielt man nicht, um zu gewinnen (dazu gibt es in den Regeln ein eigenes Kapitel). Man spielt also nicht strategisch. Die politischen Elemente greifen gut ineinander. Versuche, Erfolge, Scheitern, Vertuschung, Skandale, Parteipolitik, Widrigkeiten und Gegner... so dicht sind die Elemente auf kurzem Raum verknüpft... das ist beeindruckend. Persönliches und Politisches bedingen sich gegenseitig. Wunderbar! Zweier-Spiele sind ohnehin selten. Dieses hier ist eine Perle. Die Gestaltung des Buchs ist sehr gut. Übersichtlich und schön bebildert, in Farbe. Das PDF kostet aktuell (September 2019) gerade einmal $8.

Als Einflüsse auf die Entwicklung der Spielregeln nennt Tim eine ganze Reihe von Spielen, darunter Sweet Agatha von Kevin Allen Jr. (2008), S/Lay w/Me von Ron Edwards (2009), Thy Vernal Chieftains von Paul Czege (2009) und Tales of the Fisherman’s Wife von Julia B. Ellingboe
(2008). 

Tim hat auf seinem Blog eine sehr umfangreiche Reihe verfasst, die er "Mars Colony 12 Principles of Play" nennt (aktuell erst 10, die letzten beiden Prinzipien stehen noch aus). Zu diesen Prinzipien zählen: People firstDon’t Get Caught in a Loop of Speech MakingKelly is a Person, Not an OfficeFailure is Always an OptionSympathy Complicates Everything oder Remember Optimism.

Tim hat auch eine Fortsetzung veröffentlicht, mit dem Titel Mars Colony: 39 Dark, über das er detailliert auf seinem Blog schreibt.

Trailer von MC 39 Dark

Es gibt ein schönes AP des Party of One Podcasts von Jeff Stormer, das auch gut die Regeln erklärt. Als Duett bietet sich Mars Colony natürlich für den Party of One-Podcast an. 
Eric Vulgaris OUAG spielt Mars Colony

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